Predigt über 1.Mose 11,1-9. Der Turmbau zu Babel (Pfingsten 2021)

Predigt über 1. Mose 11,1-9 (Der Turmbau zu Babel)

1 Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte. 2 Als sie ostwärts aufbra­chen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. 3 Sie sagten zuein­ander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. 4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. 5 Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen. 7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. 8 Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. 9 Darum gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.

Wir sind uns einig, wir schaffen das gemeinsam, packen es an, stehen zusammen, diskutieren nicht lange herum, sondern fangen tatkräftig an. Keiner schaut auf seinen eigenen Vorteil, niemand bleibt außen vor, wenn es jetzt darauf ankommt. Der gemeinsame Wille ist da, wir haben ein großes Ziel vor Augen, also los geht’s.

Die Zusammenarbeit geht gut voran, alle sind gleichermaßen beteiligt, wir stimmen uns ab und verständigen uns auf die einzelnen Schritte. Worte und Zurufe finden Gehör. Wir ver­stehen uns fast blind. Keiner führt das große Kommando; es muss nichts befohlen oder gar erzwungen werden, schließlich sind wir alle freiwillig dabei. Und wenn wir sehen, was wir da gemeinsam schaffen, sind wir von neuem motiviert. Weitermachen, auf Einigkeit lässt sich bauen. Was niemand allein schafft, wovon niemand zu träumen gewagt hat, wir schaffen es gemeinsam.

So finden wir uns im Land Schinar wieder. Auf keiner Weltkarte ist es verzeichnet. Wie man dorthin kommt, wer weiß. An diesem Ort in grauer Vorzeit sind wir in Einigkeit versammelt, machen uns am Bau einer Stadt und eines Turms zu schaffen. Bis in den Himmel hinauf soll dieser reichen. Da heißt es zuerst Lehmziegel brennen und diese mit Erdpech, also Asphalt als Mörtel zu einem festen Mauerwerk verbinden. Stein auf Stein gemauert windet sich der Turm über eine Rampe nach oben in den Himmel.

Das monumentale Bauwerk vor unseren Augen macht Einigkeit der Menschenkinder sichtbar. Von allen Seiten lässt es sich gleichermaßen bewundern: Schaut her, was wir gemeinsam geschaffen haben, ist das nicht großartig? Alle Menschen auf der Erde zeigen sich als ein Volk und eine Weltgemeinschaft.

Müsste es nicht so in Zukunft wirklich werden – die große Einigkeit unter den Menschen weltweit, ohne Streit, ohne Krieg, damit die großen Probleme der Menschheit wie der Klima­wandel gelöst werden können? Was wäre das für eine Welt, wenn abends in der Tagesschau nur noch von gemeinsamen Fortschritten und Errungenschaften die Rede wäre.

Ihr habt jedoch den Fortgang der Geschichte gehört:

Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.
(Genesis 11,5-9)

HERR Gott verwirrt die Menschensprache, macht damit Verständigung unmöglich. Nunmehr herrscht Unverständnis untereinander, das in die Zerstreuung führt. Stadt und Turm bleiben als Bauruinen zurück. Fortan müssen wir Menschen in Volksgruppen um eigenen Lebensraum kämpfen und um Länder und Grenzen streiten. Wo man sich nicht länger in der gleichen Spra­che verständigen kann, treten Abgrenzungen, Konflikte und Kriege an die Stelle von Einig­keit.

Da lässt sich ja dann fragen: Ist all die Zerrissenheit der Welt etwa gottgewollt?

In der Geschichte vom Turmbau kommt ein Schlüsselwort nicht zur Sprache, von dem den­noch die Rede ist, nämlich die Sünde. In den ersten elf Kapiteln der Bibel, also in Genesis 1-11 tritt die Sünde der Menschen unausweichlich ans Licht. Da haben Adam und Eva im Gar­ten Eden vom Baum der Erkenntnis gegessen. Fortan werden sie selbst zwischen Gut und Böse unterscheiden und für sich entscheiden, was richtig oder falsch ist. Selbstbewusst ver­mag man nicht länger Gott zu gehorchen. Es ist der Neid und die Begierde, die Kain seinen eigenen Bruder entfremden, so dass er trotz göttlicher Warnung Abel auf dem Feld erschlägt. Und es ist die Sintflutgeschichte, die mit den Worten eingeleitet wird: „Der HERR sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war.“ (Genesis 6,5)

Was ist Sünde? Wenn man (noch) Verständnis für Sünde hat, wird damit Unmoralisches und Ungutes, das anderen Menschen angetan wird, bezeichnet. Aber so zeigt sich Sünde beim Turm- und Stadtbau in Babel nicht: „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“ (Genesis 11,4) Da sind sich Menschen einig und arbeiten schad­los zusammen. Und doch zeigt sich die Sünde in der selbstbezogenen Einigkeit: Wir sind wer – wir sind es – wir schaffen das. Gemeinsam machen wir uns einen eigenen Namen, um von Gott loskommen. Die Zukunft liegt in unseren Händen, wir müssen sie nur selbst verwirk­lichen.

Der Anspruch auf Selbstverwirklichung ist geläufig. Und doch erweist er sich als illusorisch. Wir Menschen können nicht unser eigenes Leben wirklich machen, verdankt sich doch unsere Geburt nicht uns selbst. Menschliches Leben ist qua Geburt empfangenes Leben. Und dieses empfangene Leben können wir uns nicht selbst auf Ewigkeit bewahren. Der tödlichen Befris­tung entkommen wir auch beim besten Willen und höchstem Werk nicht.

Suchen wir aus uns selbst auf uns selbst zu verwirklichen, sind wir in uns selbst gefangen – als würden wir den Atem zum Leben in uns behalten wollen und dabei an uns selbst ersticken. So wie wir im Ein- und Ausatmen für den Sauerstoff immer wieder neu empfänglich sind, kommt uns das Leben göttlich zu. So heißt ja auch das Gotteslob in Psalm 36: „HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, / und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. […] Bei dir ist die Quelle des Lebens, / und in deinem Lichte sehen wir das Licht.“ (VV 6 u. 10)

Die Sünde zeigt sich – mit Martin Luther gesprochen – in dem sich selbst gekrümmten Men­schen. Dieser sucht aus sich selbst auf sich selbst zu leben und verschließt sich darin gegen­über Gott. Da mögen mitunter beeindruckende und großartige Werke hervorkommen – was wir alles können, was wir gemeinsam können –, und doch wird sich unser Leben verlieren.

Da der Anspruch auf Selbstverwirklichung illusorisch ist, werden Schuldige gesucht, wenn es im eigenen Leben nicht so geht, wie man es selbst will oder sich vorgestellt hat. Ich mache Ungerechtigkeiten im Privatleben und in der Gesellschaft als vermeintliche Ursachen dingfest, um mich selbst für meinen vermessenen Lebensanspruch zu entschuldigen.

Für die Zukunft unseres Lebens sind Einheit und Einigkeit unter Menschen nicht genug. Wir müssen uns vielmehr darauf besinnen, dass wir alle als Empfangende auf den dreieinigen Gott angewiesen sind. Ihm verdanken wir uns selbst, in ihm finden wir zur Einheit und Einigkeit, die uns gemeinsam leben lässt. Damit Einheit und Einigkeit in Gott wirklich wird, hat Jesus vor seiner Lebenshingabe den Jüngern den Heiligen Geist verheißen:

Ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe und ihr sollt auch leben.
(Johannes 14,15-19)

Der Heilige Geist – an Pfingsten ausgegossen – schenkt uns als Geschöpfe das Leben mit dem dreieinigen Gott. Er lässt uns gemeinsam atmen, zwingt uns nicht zusammen, sondern richtet unser Leben auf den wahren Himmel aus. Da wo der auferstandene Christus gegenwärtig ist, beginnt der ungeteilte Himmel. Sein Geist nimmt uns auf Erden in ihn hinein.

Die wahren Werke der Ewigkeit sind keine menschlichen Bauwerke, sondern göttliche Kunst­werke der Liebe. Göttliche Liebe ist nicht in Stein gegossen oder gebrannt; sie wächst und bringt Menschen aus allen vier Himmelsrichtungen zusammen, mit all den verschiedenen Sprachen und Hautfarben, mit allen den unterschiedlichen schmerzlichen und freudigen Lebensgeschichten. Die göttliche Liebe bringt zusammen und baut uns gemeinsam auf.

Im Geist Gottes empfangen wir gemeinsam Jesu Weisung und werden uns darin eins, mit all unseren Unterschieden. So sagt es auch uns Jesus zu: „Der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Johannes 14,26)

So sind wir mit Menschen auf der ganzen Welt schon jetzt verbunden und sprechen gemein­sam im Geist: Jesus ist Herr. Sein Name zählt. Gott sei Dank. Amen.

Jochen Teuffel
23. Mai 2021

Hier die Predigt als pdf.

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